Quelle:http://www.spiel-des-jahres.org/rezensionen/troja.html


 

 

 

 

 

 

Troja

Das einzige, was sich bei strenger Betrachtung an TROJA vielleicht aussetzen läßt, ist der Titel. Dabei ist er für eine Schachvariante gar nicht einmal so unpassend, weckt er doch sogleich die Vorstellung eines Rösselsprungs unter Mitführung verborgener Figuren. Eine Vorstellung, die durch die wahlweise angebotene Verpackung in Form eines Pferdekopfes sogar noch verstärkt wird.
Indes eine Fehlvorstellung, wie ein Blick in die Spielanleitung schnell offenbart. Denn TROJA eröffnet eben gerade nicht die Möglichkeit, verdeckt mitgeführte Figuren hinter die gegnerischen Linien zu schmuggeln. Vielmehr erlaubt es ein offenes Aufspringen beliebig vieler Figuren.

Dadurch entstehende Türme, zur Vermeidung von Verwechslungen mit der entsprechenden Offiziersklasse trojanische Figuren genannt, erinnern spontan an die berühmten Bremer Stadtmusikanten und hätten es deshalb eher nahe gelegt, als Titel ein entsprechend motivbezogenes Kunstwort zu wählen. BreSt vielleicht, oder besser noch BRESTAMUS, um jede Gefahr einer Verknüpfung mit dem französischen Seekriegshafen an der Atlantikküste zu vermeiden.

Nach dieser - zugegeben etwas kleinlichen - Krittelei nun aber zu dem Spiel selbst, das so schachnah und -fern zugleich ist, daß es eingeschworene Schachspieler ebenso für sich einzunehmen vermag wie Menschen, die zwar die Kulturtechnik des Schachspielens erlernt haben, den intellektuellen Aufwand einer Partie Schach mit ihrem oft zähen Ringen um kleine Material- oder Stelllungsvorteile zumeist aber scheuen.

Wie bereits erwähnt, ist spielbestimmendes Element die Möglichkeit gegenseitigen Aufspringens der Figuren. Ein Sport, an dem sich Bauern wie Offiziere gleichermaßen beteiligen können. Auch die Dame ist mit von der Partie. Allein der König ist sich zu fein für diese Übung, kann deshalb aber auch bei drohender Gefahr nicht einfach von seinen Bodyguards raumgreifend in Sicherheit gebracht werden, sondern muß sich im gewohnten Tippelschritt davonstehlen.

Außer der Regelerweiterung des Aufspringens kennt TROJA lediglich noch eine Regeländerung. Danach können bei der Bauernumwandlung nur zuvor bereits vom Spielfeld entfernte Figuren wieder ins Spiel gebracht werden. Wohl aus Sorge, daß sich sonst allzu schnell ein Damenüberschuß einstellen könnte.

Denn für das Zugmuster maßgebend ist die jeweils oberste Figur. Dies erlaubt es, fußlahme Bauern mit Hilfe eines Langschrittlers blitzschnell bis vor die gegnerische Grundlinie zu werfen und dort, vom alsbald wieder abziehenden Transporteur gedeckt, als permanente Drohung zurückzulassen. Überhaupt läßt sich die eigene Bauernphalanx nunmehr von allen Offizieren locker überwinden, ohne ihre Schutzfunktion zu beeinträchtigen. Die damit einhergehende Wertminderung der Springer wird weitgehend dadurch wieder kompensiert, daß diese jetzt andere Figuren wie Fallschirmspringer hinter den gegenerischen Linien absetzen können. Trojanische Figuren mit mehr als zwei Beteiligten weden eher selten und dann auch nur für kurze Zeit gebildet. Zum einen reduzieren sie die aktuelle Präsenz auf dem Brett, zum anderen bergen sie eine entsprechend erhähte Verlustgefahr, falls sie bei einem Überraschungangriff nicht mehr schnell genug aufgelöst werden können.

Daß eine Partie TROJA dank der gewonnenen Beweglichkeit der Figuren weitaus lebendiger und abwechslungsreicher verläuft als eine Partie Schach, aber auch deutlich spritziger als viele andere Schachvarianten, liegt auf der Hand. Obwohl weiterhin auf einem zweidimensionalen Brett agierend, stoßen die Spieler nicht nur im übertragenen Sinne in eine neue Dimension vor. Dabei bleiben die Rahmenbedingungen überschaubar, und kommt es glücklicherweise nicht dazu, daß sich die Spieler auf einem explodierenden Entscheidungsbaum wiederfinden, auf dem sie sich nur allzuleicht versteigen könnten.

Die Einführung des Huckepackprinzips verdient auch als hochgradig originell Anerkennung. Außer unter den Cosims finden sich nur wenige Spiele, in denen Spielfiguren von anderen transportiert werden. Etwa in CONQUEST (Hexagames) von Donald Benge, wo Schiffe von Elefanten mit Soldaten darauf bestiegen werden können. Oder FULL METAL PLANET (Ludodélire), wo Panzerwagen auf sog. Krabben aufsatteln, die ihrerseits von Transportern aufgenommen werden. Stets ist es dann aber die tragende Figur, die für die Bewegung maßgebnd ist, während bei TROJA der Kopf entscheidet, wo's langgeht.

Als Autoren zeichnen Armin Müller und Martin Arnold, die, genretypisch, auch gleich die Produktion im Eigenverlag übernommen haben. Nach der noch etwas ruppigen Nullserie können sie jetzt sauber verarbeitete Holzfiguren präsentieren, die sich als gut stapelbar und standfest erwiesen haben. Angesicht der aufwendigen Herstellung in kleiner Auflage ist am Preis nichts zu mäkeln, der je nach Verpackung im Stoffbeutel (69 DM), in der Holzkassette (79 DM) und im "Trojanischen Pferd" aus Pappe (89 DM) schwankt. Der Besitz eines Schachbretts wird dabei allerdings vorausgesetzt.

Im letzten Jahr (1996) war es noch ein Prototyp, den M&A Spiele mit TROJA auf der Spielemesse in Essen vorstellten. In diesem Jahr (1997) konnten sie stolz ihre Erstauflage vorweisen. Armin Müller und Martin Arnold, die ihre Initialen in den Verlagsnamen übernommen haben, präsentierten mit TROJA das „Schach der neuen Generation“. Was nach vollmundigen Werbespruch klingt, ist durchaus berechtigt. Ihr Anklang ans Trojanische Pferd vermittelt ganz neue Zugangsweisen zum Schachspiel. Arnold und Müller wollen die Schachgeschichte neu schreiben. Für beide ist das Schachspiel historisch gewachsen, ständig auch Veränderungen unterworfen gewesen. Ihre neue Variation sei nun das I-Tüpfelchen.

Im Spiel Troja bleibt die Grundstruktur des Schachspiels erhalten. Wir haben das bekannte 8x8 Feld, der Zugmechanismus ist identisch, alle bekannten Figuren sind vorhanden, sie sehen nur etwas anders aus. Sie haben im Figurenfuß eine Bohrung und am Kopf eine Ausbuchtung. Darauf beruht letztlich die neue Spielidee, denn M+A-Figuren können Huckepack genommen werden, die jeweils obere Figur bestimmt die Zugweise.

Ganze neue Eröffnungen sind plötzlich denkbar. Die weiße Dame, sonst hinter der Bauernlinie eingekeilt, läßt sich vom Königsbauern E2 auf die Schulter nehmen. Sollte der Gegenspieler mit Bauer E7 – E5 reagieren, steht die weiße Dame samt Bauer im Gegenzug auf E5. Mit Ausnahme des Königs können so alle eigenen Figuren beliebig übereinander gesetzt werden. Diese „trojanischen Figuren“ können unbegrenzt wachsen, was allerdings auch das Schlagrisiko erhöht. Beim Ziehen solcher Figurentürme, darf der Spieler entscheiden, wieviele Basisfiguren er jeweils mitnehmen möchte. Schon allein die Nutzung von Doppelfiguren gibt dem Spiel ganz neuen Pfiff, so daß ein Bauer, der einen Turm schultert, plötzlich ganz schnell in gegnerischen Reihen auftauchen kann. Springt der Turm im nächsten Zug wieder ab, ist der Bauer gefährlich präsent und gelangt vielleicht zur Grundlinie des Gegners. In einem solchen Fall, der in dieser Schachvariante viel häufiger vorkommt, gilt für die Bauernumwandlung, daß ausschließlich zuvor geschlagene Figuren wieder ins Spiel gebracht werden können. Reizvoll ist die Huckepackstrategie auch für Läuferfiguren, die so von weißen auf schwarze Felder gelangen können.

Besonders die Rolle der Bauern ändert sich durch TROJA, sie kommen nicht nur schneller auf die Grundlinie des Gegners, ihre normale Zugrichtung wird aufgehoben. So können Bauernfiguren auch auf der eigenen Grundlinie zu stehen kommen oder mehrmals auf die Grundstellung in der zweiten oder siebten Reihe gelangen. Immer dann haben sie erneut die Wahlmöglichkeit, ein oder zwei Felder vorzurücken. Die versteckten Bauern sind die eigentlichen trojanischen Pferde, die schnelle und wirkungsvolle Spielzüge ermöglichen.

Insgesamt haben Armin Müller und Martin Arnold mit TROJA eine geniale Idee ausgetüftelt, von der nicht nur Schachspieler begeistert sind. Sie verkaufen ausschließlich ihre Schachfiguren mit einer siebenseitigen Spielanleitung ohne Brett in unterschiedlicher Verpackung. Die Figuren sind nicht billig, aber die Spielidee ist ihren Preis wert. Für knapp 70.- DM erhält man alle Utensilien in einem Stoffbeutel, zehn DM mehr kostet die Holzkassette, für 90.- DM fertigen die beiden Autoren als Aufbewahrungsbehälter ein hübsches trojanisches Pferd aus stabilem Karton.

(Wieland Herold)

Titel: Troja
Verlag: M+A-Spiele, Akazienweg 2, 71686 Remseck
Autor: A. Müller, M. Arnold
Spielerzahl: 2
Alter: ab 8 Jahren Preis: Stoffbeutel. 69.- DM Holzkassette 79.- DM Trojanisches Pferd" 89.- DM